Dreimal Hippies:
lokale Bewegung,globales Produkt,umstrittenes Zeichen

Wütendes Nein/Transzendentes Ja:
poetische und politische Wirs bei Jefferson Airplane,Tim Buckley und Joni Mitchel

Die Dialektik der Befreiung:
Norman O. Brown und Herbert Marcuse

Dichter/Gott.Die Türen zum Ich:
Jm Morrison zwischen poetischer Transgression und Ego-Knast

Kinder der Sonne:
Die "angetörnten" Gemeinschaften von Dino Valente;The Misunderstood, Stephen Stills,wieder Jefferson Airplane und Van Der Graaf Generator

Revolutionaries all,
dreamed of liberation

 

Die Krone der Schöpfung ,
Gemeinschaftsvorstellungen von Hippies, Outlaws, Sonnenkindern, Poeten und anderen Urahnen der Gegenkultur

Dreimal Hippies:
lokale Bewegung,
globales Produkt,
umstrittenes Zeichen

Hippies nannte man - und zunächst auch sie sich selbst - eine Bewegung, die in den mittleren 60ern in San Francisco und Umgebung auffällig wurde. Sie hatte ihre Wurzeln einerseits in klassisch-amerikanischen kommunitaristischen Ideen und bezog sich dabei unter anderem auf Thoreau, Emerson und Whitman, andererseits in der sehr speziellen Boheme-Geschichte Kaliforniens im allgemeinen und der Bay Area im besonderen. Wie etwa der ehemalige Grateful Dead-Roadie, Vater von Courtney Love und Kulturwissenschaftler Hank Harrison in seiner Social History of Haight Ashhury zeigt, war die Symbiose von literarisch-intellektuellen Beatniks, Bikern, Kleinkriminellen, Folk- und Jazzmusikern enger und fruchtbarer, waren die Übergänge zwischen politischen (schon sehr früh ökologisch motivierten) Aktionen, kriminellen Coups und Kulturveranstaltungen während der ganzen Nachkriegszeit hier fliessender als anderswo in den USA.
Ab 1966/67 steht das Wort Hippie auch für die internationale Vermarktung dieses kalifornischen Bewegungsphänomens. Die Musik Industrie hatte nach dem globalen Erfolg der Beatles und anderer eine struk turell neue Dimension gewonnen.
Die Plattenabteilungen der Unterhaltungskonzerne wurden grösser, internationaler und unabhängiger. Gleichzeitig entstanden jede Menge neue Firmen und unübersichtlich- chaotische Produktionsbedingungen, die es einigen Hippies zeitweilig sogar erlaubten,diese unter Kontrolle zu bringen. Der ökonomischen Dimension einer beschleunigten Vermarktung stand die soziale des Identifikationsangebots dieser attraktiven Bewegung für und ihre Übertragbarkeit auf Phänomene wie Gammler, Provos, aber auch Teile der revoltierenden Studenten in aller Welt gegenüber. Zwar liegt nur ein bisschen Wasser, doch lagen Welten zwischen Berkeley dem Zentrum der amerikanischen Studentenbewegung, und der Kreuzung von Haight und Ashbury in San Francisco, dem Zentrum der Hippie-Kultur.
Allerdings gingen in der globalen Rezeption manche Unterschiede verloren,zumal auch in Amerika starke Kräfte, wie etwa Yippies und Weathermen, versuchten beide Aspekte der Dissidenzkultur zu verknüpfen.
Seit den 70er Jahren, spätestens seit Punk ihn sich zum Hauptfeind auserkoren hatte, existiert der Hippie als ein vieldeutiges, umstrittenes Zeichen, in (gegen-)kulturellen Debatten der diskursiven Funktion ähnlich, die in politisch-historischen der ebenso mehrfach codierte 68er hat. Der Hippie erscheint einerseits als Sündenbock, andererseits aber auch immer wieder als positive Bezugsfigur, etwa während der diversen Psychedelic-Revivals der 80er, in Aspekten der Rave-Kultur und sogar als sympathisch-idealistischer Typ, der in Mainstream-Diskursen "nihilistischen" oder "zynischen" heutigen Jugendlichen entgegengehalten
wird. Seine Kleidung, seine Umgangsrituale, einige seiner Werte sind in ein bündnisgrün, ökolinks angehauchtes Segment kleinbürgerlicher Mainstreamkultur eingegangen, das man nicht mehr minoritär oder subkulturell nennen kann. Darüber hinaus treten nicht wenige Überlebende seiner Urversion (San Francisco '66) heute als Propheten der Cyber-Kultur auf. In Zeitschriften wie Mondo 2000, auf Ausstellungen und Kongressen geben alte Hippies wie Timothy Leary und John Perry Barlow der gelegentliche Grateful Dead-Texter, den Ton an. Gerade mit der Etablierung einer mythischen Idee von globaler, uneingeschränkter Internet-Kommunikation und der Realität neuer Gruppen und Grüppchen innerhalb dieses globalen Kommunikationszusammenhangs, seien sie nun strategisch relevant oder nur spezialistenhaft retardiert, stellt sich erneut die Frage nach (unausgesprochenen) Gemeinschaftsvorstellungen, die schon beim ersten Auftreten der Hippies entscheidend war. Wir halten den Hippie aus verschiedenen Gründen für wert, einer kleinen Untersuchung unterzogen zu werden. Zum einen wegen der bis heute nicht wesentlich erschütterten Kollektivitätsformen, die in der Hippie-Epoche entwickelt wurden und
bis in heutige WGs, Bands, Zusammenhänge etc. fortwirken. Die Hippie-Kultur war die erste, die nicht unmittelbar interesse geleitete, vielmehr durch sogenannte Überzeugungen bestimmte "Wirs" in die Welt setzte, die unausgesprochene Regeln und Rahmenbedingungen verabschiedete, denen zufolge "Wir" gesagt werden konnte. Zum anderen griffen die Hippies zwar auf alle möglichen linken, religiösen, pfadfinderischen und anderen Kollektivitätsformen zurück, hinterliessen aber auch, indem sie diese Traditionen mit neuen Bildern, Klängen und Texten verknüpften, die Slogans und Symbole, die noch heute als wiedererkennbar medienrelevant sind.
Sie waren die erste Nachkriegsbewegung, die unter globalisierten Medienbedingungen weder im Namen spezifischer politischer Subjekte(Arbeiterklasse) noch im Namen von Bürgerrechten sprach, sondern im Namen einer neuen Menschheit.
Insofern steht der Hippie in allen drei hier benannten Dimensionen (lokale Bewegung, globales Produkt, umstrittenes Zeichen) vor allem für einen bestimmten revolutionären Egalitarismus, der, wenn man näher hinsieht, immer Gefahr lauft, in elitäre Redeweisen und - mal mehr, mal weniger direkt daran anschliessend - exklusive Strategien umzukippen, denen man keineswegs durchgängig die Berechtigung absprechen kann. Daran schliesst sich die Frage an, ob gegenkulturelle Konzepte notwendig elitistisch sind, ob man nicht drumrum kommt, sich für was Besseres zu halten, wenn man sich gegen die hegemoniale Kultur wendet.
An MC 5 erinnerte sich die Pop-Welt kurz, als ihr Sänger Rob Tyner und Gitarrist Fred "Sonic" Smith, der spätere Ehemann
von Patti Smith, kurz hintereinander starben. Dass diese fünf Langhaarigen, Sun-Ra- Fans, Lärm- und Feedback-Improvisatoren und Rock'n'Roller aus der Universitäts- Stadt Ann Arbor bei Detroit auch Politicos waren, blieb Randbemerkung. Ihr Manager
John Sinclair, der Ende der 60er wegen einer lächerlichen Menge Dope für fast ein Jahrzehnt hinter Gittern verschwand, war
Begründer einer White Panther Party, die die Black Panthers unterstützte und über die Band MC 5 zu Ladendiebstahl, Revolution und Sexmachen aufrief ("Rock'n' Roll, Dope, & Fucking in the Streets"). Er begann jeden Auftritt der MC 5 mit der Frage, ob das Publikum willens sei sich zu entscheiden, entweder ein Teil der Lösung oder des Problems auf diesem Planeten zu werden. Mike Kelley, in Ann Arbor aufgewachsener Künstler und Gegenkultur- Historiker weist anlässlich von MC S darauf hin, dass die Hippies generell wesentlich politischer waren, als ihr Ruf, Blumenkinder und Eskapisten zu sein, es nahelegt, und wie auch er in jenen Jahren durch diese Band und ihr Umfeld politisiert worden sei. Waren "die Hippies" nun ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung? Und wovon? Wir schauen nach bei Songtexten, bei Dokumenten also, die an das Medium gebunden waren, das am nachhaltigsten die Globalität der Hippie-Vorstellung herstellte, sowie bei zwei Theoretikern: bei Herbert Marcuse, dem einzigen namhaften Vertreter der Kritischen Theorie, der für Hippies etwas übrig. hatte, und bei dem kalifornischen Philosophen Norman O. Brown, dessen Texte selbst so entgrenzend; assoziativ collagenhaft und euphorisch daherkommen wie ein Tim Buckley- oder Grace Slick- Text.

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