Die Krone der Schöpfung ,
Gemeinschaftsvorstellungen von Hippies, Outlaws, Sonnenkindern, Poeten
und anderen Urahnen der Gegenkultur
Dreimal Hippies:
lokale Bewegung,
globales Produkt,
umstrittenes Zeichen
Hippies nannte man - und zunächst auch sie sich selbst - eine Bewegung,
die in den mittleren 60ern in San Francisco und Umgebung auffällig
wurde. Sie hatte ihre Wurzeln einerseits in klassisch-amerikanischen kommunitaristischen
Ideen und bezog sich dabei unter anderem auf Thoreau, Emerson und Whitman,
andererseits in der sehr speziellen Boheme-Geschichte Kaliforniens im
allgemeinen und der Bay Area im besonderen. Wie etwa der ehemalige Grateful
Dead-Roadie, Vater von Courtney Love und Kulturwissenschaftler Hank Harrison
in seiner Social History of Haight Ashhury zeigt, war die Symbiose von
literarisch-intellektuellen Beatniks, Bikern, Kleinkriminellen, Folk-
und Jazzmusikern enger und fruchtbarer, waren die Übergänge
zwischen politischen (schon sehr früh ökologisch motivierten)
Aktionen, kriminellen Coups und Kulturveranstaltungen während der
ganzen Nachkriegszeit hier fliessender als anderswo in den USA.
Ab 1966/67 steht das Wort Hippie auch für die internationale Vermarktung
dieses kalifornischen Bewegungsphänomens. Die Musik Industrie hatte
nach dem globalen Erfolg der Beatles und anderer eine struk turell neue
Dimension gewonnen.
Die Plattenabteilungen der Unterhaltungskonzerne wurden grösser,
internationaler und unabhängiger. Gleichzeitig entstanden jede Menge
neue Firmen und unübersichtlich- chaotische Produktionsbedingungen,
die es einigen Hippies zeitweilig sogar erlaubten,diese unter Kontrolle
zu bringen. Der ökonomischen Dimension einer beschleunigten Vermarktung
stand die soziale des Identifikationsangebots dieser attraktiven Bewegung
für und ihre Übertragbarkeit auf Phänomene wie Gammler,
Provos, aber auch Teile der revoltierenden Studenten in aller Welt gegenüber.
Zwar liegt nur ein bisschen Wasser, doch lagen Welten zwischen Berkeley
dem Zentrum der amerikanischen Studentenbewegung, und der Kreuzung von
Haight und Ashbury in San Francisco, dem Zentrum der Hippie-Kultur.
Allerdings gingen in der globalen Rezeption manche Unterschiede verloren,zumal
auch in Amerika starke Kräfte, wie etwa Yippies und Weathermen, versuchten
beide Aspekte der Dissidenzkultur zu verknüpfen.
Seit den 70er Jahren, spätestens seit Punk ihn sich zum Hauptfeind
auserkoren hatte, existiert der Hippie als ein vieldeutiges, umstrittenes
Zeichen, in (gegen-)kulturellen Debatten der diskursiven Funktion ähnlich,
die in politisch-historischen der ebenso mehrfach codierte 68er hat. Der
Hippie erscheint einerseits als Sündenbock, andererseits aber auch
immer wieder als positive Bezugsfigur, etwa während der diversen
Psychedelic-Revivals der 80er, in Aspekten der Rave-Kultur und sogar als
sympathisch-idealistischer Typ, der in Mainstream-Diskursen "nihilistischen"
oder "zynischen" heutigen Jugendlichen entgegengehalten
wird. Seine Kleidung, seine Umgangsrituale, einige seiner Werte sind in
ein bündnisgrün, ökolinks angehauchtes Segment kleinbürgerlicher
Mainstreamkultur eingegangen, das man nicht mehr minoritär oder subkulturell
nennen kann. Darüber hinaus treten nicht wenige Überlebende
seiner Urversion (San Francisco '66) heute als Propheten der Cyber-Kultur
auf. In Zeitschriften wie Mondo 2000, auf Ausstellungen und Kongressen
geben alte Hippies wie Timothy Leary und John Perry Barlow der gelegentliche
Grateful Dead-Texter, den Ton an. Gerade mit der Etablierung einer mythischen
Idee von globaler, uneingeschränkter Internet-Kommunikation und der
Realität neuer Gruppen und Grüppchen innerhalb dieses globalen
Kommunikationszusammenhangs, seien sie nun strategisch relevant oder nur
spezialistenhaft retardiert, stellt sich erneut die Frage nach (unausgesprochenen)
Gemeinschaftsvorstellungen, die schon beim ersten Auftreten der Hippies
entscheidend war. Wir halten den Hippie aus verschiedenen Gründen
für wert, einer kleinen Untersuchung unterzogen zu werden. Zum einen
wegen der bis heute nicht wesentlich erschütterten Kollektivitätsformen,
die in der Hippie-Epoche entwickelt wurden und
bis in heutige WGs, Bands, Zusammenhänge etc. fortwirken. Die Hippie-Kultur
war die erste, die nicht unmittelbar interesse geleitete, vielmehr durch
sogenannte Überzeugungen bestimmte "Wirs" in die Welt setzte,
die unausgesprochene Regeln und Rahmenbedingungen verabschiedete, denen
zufolge "Wir" gesagt werden konnte. Zum anderen griffen die
Hippies zwar auf alle möglichen linken, religiösen, pfadfinderischen
und anderen Kollektivitätsformen zurück, hinterliessen aber
auch, indem sie diese Traditionen mit neuen Bildern, Klängen und
Texten verknüpften, die Slogans und Symbole, die noch heute als wiedererkennbar
medienrelevant sind.
Sie waren die erste Nachkriegsbewegung, die unter globalisierten Medienbedingungen
weder im Namen spezifischer politischer Subjekte(Arbeiterklasse) noch
im Namen von Bürgerrechten sprach, sondern im Namen einer neuen Menschheit.
Insofern steht der Hippie in allen drei hier benannten Dimensionen (lokale
Bewegung, globales Produkt, umstrittenes Zeichen) vor allem für einen
bestimmten revolutionären Egalitarismus, der, wenn man näher
hinsieht, immer Gefahr lauft, in elitäre Redeweisen und - mal mehr,
mal weniger direkt daran anschliessend - exklusive Strategien umzukippen,
denen man keineswegs durchgängig die Berechtigung absprechen kann.
Daran schliesst sich die Frage an, ob gegenkulturelle Konzepte notwendig
elitistisch sind, ob man nicht drumrum kommt, sich für was Besseres
zu halten, wenn man sich gegen die hegemoniale Kultur wendet.
An
MC 5 erinnerte sich die Pop-Welt kurz, als ihr Sänger Rob Tyner und
Gitarrist Fred "Sonic" Smith, der spätere Ehemann
von Patti Smith, kurz hintereinander starben. Dass diese fünf Langhaarigen,
Sun-Ra- Fans, Lärm- und Feedback-Improvisatoren und Rock'n'Roller
aus der Universitäts- Stadt Ann Arbor bei Detroit auch Politicos
waren, blieb Randbemerkung. Ihr Manager
John Sinclair, der Ende der 60er wegen einer lächerlichen Menge Dope
für fast ein Jahrzehnt hinter Gittern verschwand, war
Begründer einer White Panther Party, die die Black Panthers unterstützte
und über die Band MC 5 zu Ladendiebstahl, Revolution und Sexmachen
aufrief ("Rock'n' Roll, Dope, & Fucking in the Streets").
Er begann jeden Auftritt der MC 5 mit der Frage, ob das Publikum willens
sei sich zu entscheiden, entweder ein Teil der Lösung oder des Problems
auf diesem Planeten zu werden. Mike Kelley, in Ann Arbor aufgewachsener
Künstler und Gegenkultur- Historiker weist anlässlich von MC
S darauf hin, dass die Hippies generell wesentlich politischer waren,
als ihr Ruf, Blumenkinder und Eskapisten zu sein, es nahelegt, und wie
auch er in jenen Jahren durch diese Band und ihr Umfeld politisiert worden
sei. Waren "die Hippies" nun ein Teil des Problems oder ein
Teil der Lösung? Und wovon? Wir schauen nach bei Songtexten, bei
Dokumenten also, die an das Medium gebunden waren, das am nachhaltigsten
die Globalität der Hippie-Vorstellung herstellte, sowie bei zwei
Theoretikern: bei Herbert Marcuse, dem einzigen namhaften Vertreter der
Kritischen Theorie, der für Hippies etwas übrig. hatte, und
bei dem kalifornischen Philosophen Norman O. Brown, dessen Texte selbst
so entgrenzend; assoziativ collagenhaft und euphorisch daherkommen wie
ein Tim Buckley- oder Grace Slick- Text.
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