Dichter/Gott.Die
Türen zum Ich:
jim Morrison zwischen
poetischerTransgression
und Ego-Knast
Kein Wunder, dass sich Norman O. Browns erstes Buch Life against Death
erst im Bücherregal des pubertierenden und später im Seminarplan
des studierenden Jim Morrison befand. Die Idee des Dichters/Sängers
äls dem, der die Richtung des "Durch- bruchs zur anderen Seite",
zum 'anderen Menschen weist, wucde ihm massenhaft abgekauft. Sein seinerzeit
begeistert aufge- nommenes anti-ödipales Drama - "Father? -Yes,
son - I want to kill you - Mother, I want to uuuargh...", - im. apokalyptisch-irr-
lichternden Song "The End" kennzeichnet ihn deutlich als mystischen
Dichter-Revo- lutionär im Sinne Browns. Damit jedoch das Gesetz abgeschafFt,
die Grenzen des Begehrens gesprengt, die Welt - NOW! - in Besitz genommen
und, wie ein Jahr später in "WhenThe Music Is Over" gefordert,
die andere Seite erreicht werden kann, braucht . auch Morrison die Frau.
Gewissermassen als Dynamo seiner kosmischen Erleuchtungs- o~ se~c~ 4~ss
anlage. "I found an island in your heart, country in your eyesK,
singt er mit dem nackten ' Oberkörper seinei Stimme in "Break
on Through (to The Other Side)": Schwangen 1967 in diesem Song noch
deutlich Drogenerfahrungen mit (der "historische Ballast" wurde
in der Hippie- Praxis vor allem auch durch unglaublich . finale LSD-Erlebnisse
übeiwunden), so- klingt er drei Jahre später in der Absolutely
L,lve-Version schon deutlicher nach einer phallisehen Befteiungshymne,
wenn nicht gar nach einer von der inzwiscien fortge- schrittenen Hsexuellen
Befreiung" geprägten Penetrationsphantasie. Klar jedenfalls,
dass fur Morrison, fiir den die "logische Aus- weitung des Ichs Gott"
war, die Trans- formation seines Ichs in etwas Grösseres sel- ten
die in'Songs sonst verbreitetere Form des liebenden Paares annahm. Angestrebt
war. Trans-Individualitäf durch mystische Transzendenz. Dafur hatte
er sich ausgebildet. Kerouac, Ginsberg, Ferlinghetti, Dylan Thomas und
vor allem Rimbaud standen auf besagtem Bücherregal zu Diensten, um
von den geilen Erfahrungen zu künden, die zu machen einzig der Dichter
auserwählt schien. Dann gab er sich die Nietzsche- Dosis und es folgte
seine Identifizierung mit dem tief leidenden Dionysos. Aber als eine Art
Aufwan,dsentschädigung konnte der;Qualen und Visionen auf sich vereini-
gende Dichter sicher sein, dass sein Leiden nicht nur hoch gelobt, sondern
auch durch Erlösung belohnt würde. Diese sollte sich in einer
ekstatischen Auflösung des persönli- chen Bewusstseins vollziehen,
in der Wie- derherstellung einer imaginären Ureinheiç. Morrison
sprach von dieser Ureinheit wie andere auch zu dieser Zeit als einem "Kos-
mischen Bewusstsein". "Universal Mind" heisst ein Stück
von deri lOoors, Universal Mind, das ist auch die englische Überset-
zung von Hegels Weltgeist. Hegel liest sich in diesem Zusammenhang aber
wohl am besten mit Leary: Anheben, Aufheben, Abheben. Die drei Abschnitte
der Story, die der Song erzählt, sind die Essentials der - ganzen
Morrison-Geschichte. Coole Über- legenheit und brutale Kontrolle
wird durch die (ersehnte) Begegnung mit Frau ("then you came along
with -a suitcase fixll of songs") erschüttert ("turned
my head around"), empfindet sich nun als Einsamkeit ("now I'm
so alone"), stellt sich der Lage existentieller Einsamkeit und erkennt
sie schliesslich als Freiheit ..("I'm a freedom' man, that's how
lucky I am"). Auf der ande- ren Seite begegnet Morrison also sich
selbst, nun allerdings angereichert mit Anlässen zum Schreiben von
Songs. Morrison sass im Transgressionsexpress, aber dieser wurde von der
schnelleren, kon- formeren und dynamischeren Ich-Welle überholt und
weggespült. Aus ihr ist zwar auch ein Neuer Mann hervorgegangen,
doch dieser wurde von Morrison zunächst allein gegeben. Später
hat sein archerypi- scher Rock-Narzissmus viele Nachahmer gefunden. Die
dafur emblematische Leder- hose, bei der sich der Schwanz ebenso emblematisch
abzeichnen muss, ist heute bis in die N'iederungen eines Wolfgang Niedecken
wiederzufinden. Dass Morrisön diese Hose 1969, nachdem er sich bei
einem Besuch des Artaud-orientierten, paradiessuchenden Living Theatre
die Notwendigkeit der Revolution (gegen eine Welt, in der Sätze gelten
wie "Ich habe kein Recht, ohne Pass zu reisen", "Ich weiss
nicht, wie man Kriege beendet"; "Ich.kann nicht ohne Geld leben";
"Ich habe kein Recht, Haschisch zu rauchen" und schliesslich
"Ich habe kein . Recht, meine Kleider abzulegen") vor Augen
fuhren liess, auf einem Konzert in Miami herunterlassen wollte, markierte
den Anfang vom Ende der Doors. Morrison, der sowieso lieber Mÿstiker.als
Star, zumindest aber beides sein wollte und sich von Tausenden krei- schender
Mädchen auf letzteres reduziert sah, entwickelte sich nun immec mehr
zum starken Dichter-Typ. Er kümmerte sich neben den wegen.des Miami-Prozesses
und der daraus resultierenden . Konzertabsagen eingeschränkten Doors-Aktivitäten
um die Publikation seiner Gedichte The Lords (82 Beobachtungen iiber Visionen
und Film) und The New Creatures, arbeitete an Filmprojekten, liess sich
einen Bart wach- sen, trug Stoflhosen, nahm an seinem letz- ten Geburtstag
sein Gedicht An American Prayer ("We need great golden copulationsn)
auf, ging nach Paris und starb dort 1973 unter mysteriösen Umständen,
was ihn davor bewahrt hat, den Mythos des viel zu erkennbar genialen Dichters
und all die entsprechenden Peinlichkeiten. leben zu müssen. Morrison
ist geil tot. Das ist, was ihn als Übermenschen konserviert.
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