Kinder der Sonne:
Die "angetörnten" Gemein-
schaften von Dino Valente;
The Misunderstood, Stephen Stills,
wieder Jefferson Airplane und Van Der Graaf Generator

Die Erneuerungsprozesse, von denen Morrison spricht, setzen die - meist gerade ein- getretene - Abwesenheit der anderen vor- aus. Anders lauft es in dem etwas später (1971) euphorisch als Befreiungshymne gefeierten Lob männlicher Promiskuität in "Love the One You're With", von Stephen Stills. Hier ist es die konkrete Anwesenheit von zufällig in der Gegend herumliegenden Frauen ("there's a girl right next to ÿou / and she'sjust waiting for something to do"), die als Allheilmittel für eventuell bluesige Zustände ordiniert werden. Die Frauen werden entlang der Bedeutung "Life is love and love is sex" Drogen-analog so als Sti- mulanz eingesetzt wie in früheren Formen Musen und andere Göttinnen, die Klaus Theweleit näher kennt. Man(n) fiihlt sich wohl in einer auch nach 1967 oft beschwo- renen Summer-of-love-Atmosphäre: "It was absolutely crazy. Nude swimming going on all the time; Jorma firing his gun in the pool; kids sneaking through the door (...) There was the breaking away from parents; the sexual revolution; drugs became okay; everything became okay worldwide" (Zeit- zeugen aus dem Airplane-Zusammenhang auf den Liner Notes zur Compilation 2400 Fulton Street). Das paradiesisçhe Urerlebnis, das am Anfang der meisten Hippie-Selbst- beschreibungen steht, wird allerdings hier eher durch ein sommerliches Wohlgefuhl hergestellt, das eher Ausdruck einer allum- fassenden Brüderlichkeit als der von Liebe ist. Daneben gibt es noch einen weiteren Emotionsstil, der die Anwesenheit der anderen weder fur Ego-Trips überhöht noch fur einen männlichen, pragmatischen, . "sexuell-befreiten" Hedonismus benutzt, sondern ausdrücklich versucht, das ozeanische Gefuhl zu erhalten und seine Voraus setzungen zu stabilisieren. Diese "Kinder der Sonne", allen voran der spätere Quicksilver-Sänger Dino Valente, weigern sich, sich aus dem Paradies vertreiben zu lassen. Ihr oft arg lyrisches Lob ozeanischer Gefuhle ist dabei weniger vulgärpsychoana- lytisch als Zurück-zu-Mama zu deuten, wie sich das Simon Reynolds und Joy Press in ihrem Buch The Sex Revolts etwas sehr ein- fach machen, sondern eher als hippiekulturelles, Liebe als Waffe einsetzendes Weiter zu einer neuen und besseren Menschheit. Interessant, dass der fur Gemeinschaftsbil- dung erwünschte andere hier nicht selten auch als männlich indentifiziert werden kann. Dass sich diese Gemeinschaft auf dem Weg zu einei besseren Weit ihretseits aus besseren Menschen schon mäl konstituiert und daher abgrenzen muss, der Hippie- Ozean also keineswegs alle umspült, wird in Valentes Songs ebenso deutlich. Diese Gemeinschaft ist aberjetzt nicht mehr eine von Poeten oder Gegnern des Privateigen- tums, sondern eine Gemeinschäft der "Angetörnten", die die Erinnerung an beide Ziele nebelhaft bewahren mögen, sich aber ihrer Differenz zu Spiessern in der Regel ' sicherer sind aIs ihrer eigenen Bestimmung (und darin älteren Boheme-Cliquen ähneln). Dino allerdings versucht Selbst- bestimmung und Abgrenzung . in der Schwebe zu halten und fordert. dann sein . männliches Gegenüber auf, ihm zu folgen, um in einer Gemeinschaft von Sonnen- kindern 1Q0% "wirklich" zu werden: "All the others that you see / Are half as real as they could be", heisst es in "Children of the Suna, und: ·"You better stop, take a look aro- und, Honey they got all the ptnblems." Wie man Kind der Sonne wird, hat Dino Valente nicht nur zur Nachahmung empfohlen; er hat die Transformation offensichtlich bis in seine ultraentspannten Stimmbänder hinein selbst durchgeführt. Auch The Misunderstood, die späteren Juicy Lucy besingen 1967 die Children of the Sun. Ihre Version der Sonnenkinder zeichnet sich durch gemeinschaftlich geteil- te Trip-Erlebnisse aus; die Liebe rauçht dazu: "Relax yourselves and drift / Into the regions of your mind / As understanding glows before you / All that's left of'you is kind / That's the way that love is smoking / You join the children of the sun." Solch selbstbezogenem Loben des paradiesischen Angetörntseins oder durch Liebe induzier- ter ozearüscher Gefiihle steht immer schnell der Anspruch auf (notwendig?) exklusiven Wahrheitsbesitz in einer Kampfsituation entgegen. Jefferson Airplane erklären deut- tich weniger naiv, weniger harmlos freund- lich ihren Anhängern: "You are the crown of creation." Der Geltungsanspruch dieses Elitismus einer sich zur Krone der Schö- pfung deklarierenden und sich als solche auch selbst geniessen wollenden gegenkul- turellen Minderheit wird in uCrow.n of Creation" von 1968 dann auch klar gegen die Ignoranz der eigentlich Herrschenden gestellt und aus der Gegnerschaft begrün- det: "Loyalty to their kind l They can not tolerate our minds / And loyalty to our kind / We can not tolerate their old structure." Schlusszeilen: "New worlds to gain / My life is to survive / And be alive for you." Nicht nur, weil die Möglichkeit einer Ver- änderung der alten Strukturen, die Vor- stellung Neuer Welten dadurch näher- gerückt scheint, ist der tendenziell erweite- rungsfàhige Zusammenhang von Gleich- gesinnten und dessen Abgrenzung notwen- dig. Das emphatisch elitistische "Wir" ist hier auch die Perspektive, für die es sich unter wenig idealen, d.h. realen gesellschaft- lichen Bedingungen weiterzumachen lohnt.Dass es ein Jahr später dieselben Airplane waren, die die Ablehnung des Privateigen- tums entdeckten, muss gar nicht so viel heissen. Bands sind relativ instabile, inkonsi- stente "Autoren", denen man schlecht pEntwicklungen" untecschieben kann. Van der Graaf Generator erinnern sich 1971 an das ursprüngliche paradiesische Erlebnis, das Züge ozeanischer Gefühle mit Gemein- schaftserlebnissen verbindet und ein uns nun sehr vettrautes aWir" darauf aufbaut. Die Nähe zur Sonne wird hier für den Ur- sprungsmythos auch geographisch gesucht: "East was dawning / Comming alive in the golden sun / Several heads became one." Doch nach diesem entgrenzenden Erlebnis setzt Bewusstseinsbildung ein: Was ist mit uns passiert? "We walked together sometimes hand in hand / smiling very peacefully / we began to notice that we could be free." Dieses Potential will realisiert werden und "We" brechen auf in deil nWesren"; um sich in einem Exodus wiederzufinden. Der Song "Refugees" von der LP mit dem verzweifelt bittenden Titel The Least We Can Do is Wave to Each Other lebt von seinem pathetischen Präteritum und hat 1971 nur noch einen Begriff für die ehemaligen Protagonisten des Autbruchs: Flüchtlinge.

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